Erinnerungen



Dirk Kuhlmann:

Bevor ich genauer auf den entscheidenden »Blinden Fleck« des LOGIKUS zu sprechen komme, will ich zunächst ein paar Worte über seine positiven Merkmale verlieren.

Wie gut die kleine Maschine durchkonstruiert war, kann man in einer Gegenüberstellung mit einem US-amerikanischen Urahnen erkennen. Die Rede ist hier vom GENIAC [1]. Wohl jede(r) LOGIKUS-Besitzer(in) wird bisweilen über dessen Kontaktschwächen und flackernden Leuchtanzeigen die Stirn gekräuselt haben. Liest man jedoch die Erfahrungsberichte von GENIAC-Benutzern, so wird rasch klar, wieviel schlechter es hätte kommen können. Hier ist nicht der Platz für einen detaillierten technischen Vergleich beider Geräte, doch in puncto »Verstehbarkeit durch Hingucken«, »Rapid Prototyping« und Funktionssicherheit spielte der LOGIKUS in einer anderen Liga.

Dies gilt auch für die Qualität der Handbücher. Zugegeben: uns LOGIKUS-Altbenutzern mag hier die Nostalgie den Blick etwas verklären. Es wäre interessant, ob der Text heutigen Jugendlichen ein wenig verstaubt oder »uncool« vorkommt (wie uns selbst damals vielleicht die Sprache des 50er-Jahre Jugendmagazins »Rasselbande« für »fixe Jungs und nette Mädel«). Wie dem auch sei: ich halte die in bisweilen flapsigem Tonfall vorgetragenen Erläuterungen der Logikus-Handbücher nach wie vor für vorbildlich in puncto zielgruppengerechte Darstellung technischer Sachverhalte.

Damit sind wir bei einem Thema angelangt, das in der Rückschau vielleicht das wichtigste ist: jenem der per LOGIKUS ausgelösten »AHA-Effekte«. Ich meine damit jene rare Kombinantion von Staunen und Einsicht, die schlagartig den Blick auf verallgemeinerte Konzepte eröffnen. Natürlich ist dies subjektiv, abhängig von Alter (ich war damals 12 oder 13 Jahre) und Vorwissen hat jeder hat seine eigenen Erfahrungen mit dem LOGIKUS gemacht. Mir ist an diesem Punkt deshalb besonders deshalb gelegen, weil sich meine Hauptkritik am LOGIKUS an der Unterschlagung eines AHA-Effekt entzündet. Wie sich zeigen wird, war dies konstruktionsbedingt unvermeidlich. Andererseits war die Auslassung so gravierend, daß man deren joviale Rechtfertigung in der Einleitung des ersten Handbuchs mit anderen Augen liest - nämlich als eine Art Entschuldigung. Dies ist jedoch noch nicht das Thema.

Eine kleine »Logikus-Erleuchtung« war für mich, daß es bei geeigneter Konstruktion ausreicht, eine Leitung statt zweier zu ziehen. Wer, wie ich, über Elektromann und Radiomann zum LOGIKUS kam, wußte, daß der Strom von einem Pol zum anderen fließt und deshalb immer zwei Strippen zum Verbraucher nötig sind. Beim LOGIKUS hingegen kam der Strom aus einer magischen Quelle und »verschwand« in den Leuchten.

Natürlich war der Trick leicht zu verstehen - ein Anschluß jeder Lampe war zusammen mit einem Batteriepol auf »Masse« gelegt.Aus dem Radiomann kannte man die »Erde«, aber das war was anderes. Beim Elektronik-Labor XG war die die »Masse« zwar auf Schaltplänen eingezeichnet, hatte aber wegen der dortigen Kombination eines PNP-mit einem NPN-Transistor etwas Willkürliches (bei der Verwendung gleicher Transistortypen fällt viel leichter auf, daß hier in der Regel ein gegen eine gemeinsame Masse gerichtetes »Standbein« ein »Spielbein« gegen die Betriebsspannung gibt.

»Masse« wurde durch den LOGIKUS handgreiflich und war von offensichtlichem Nutzen: der Grundaufbau erlaubte, auf der Maschine ohne Angst vor Kurzschlüssen oder unbemerkter Batterie-Drainage zu stöpseln. Nachkauf von Batterien hielt sich in Grenzen, und zerschossene Bauelemente gab es so gut wie nie. Der Kauf von Ersatzlämpchen gestaltete sich in der Provinz allerdings problematisch. Die von Haus aus beigelegten Exemplare mit geringem Stromverbrauch gab's im örtlichen Elektroladen nicht. Auf dem Lampenfeld waren dann irgendwann deutliche Helligkeitsunterschiede bemerkbar, und die Batterie hielt längst nicht mehr so lange.

Ein weiteres AHA bestand darin, sich von einer naheliegenden, doch falschen Intuition zu lösen: der Vorstellung nämlich, daß eine LOGIKUS-Schaltung »von links nach rechts« aufgebaut sei und der Strom in eben diese Richtung flösse. Zwar sitzt die »magische Quelle« Q auf der linken Seite des Chassis, doch natürlich bewegt sich der Strom ebensogern von der x zur y-Seite eines Schalters wie umgekehrt. Dies wird auch in einigen LOGIKUS-Versuchen ausgenutzt (etwa in Schaltbild 32). Auch »verschwindet« der Strom ja nicht einfach in den Lämpchen-Löchern, sondern verzweigt sich ggf. gerne wieder rückwarts durch die Schaltung. Hierdurch leuchten dann bisweilen mehr Leuchten, als man eigentlich ansteuern will - Stichwort »Über-Optimierung«. Die fehlende Entkopplung wiederum kann sich bei ersten eigenen Gehversuchen als lästig erweisen. Auch beim Programmieren eines LOGIKUS-Software-Emulators muß dies berücksichtigt werden.


Soviel zu elektrischen Aspekten. Welche AHA-Effekte stellten sich nun beim Experimentieren ein?

Erinnerlich ist mir meine Begeisterung über das simple zweite Experiment »Ein Leuchtband läuft«. Nach etwas Training flitzte das Leuchtfeld in beachtlicher Geschwindigkeit von rechts nach links und -nach Umtrainieren- auch in die Gegenrichtung. Hier ließen sich bereits ersten Erfahrungen mit Erweiterung und sammeln. Durch einfache Parallelschaltung von Lämpchen konnte man z.B. zwei Leuchtfelder synchron bewegen.

Als schwieriger erwies sich dann allerdings, ein einzelnes Feld durch acht Positionen zu rotieren. Zum einen hätte es einer weiteren Hand bedurft, um einen dritten Schalter zu bedienen. Doch abgesehen von derlei Praktikabilitäten flutschte die Zwei Schalter/vier Lämpchen-Version deswegen so gut, weil immer nur eine Schalterposition verändert werden mußte, um die zyklische »Bewegung« des Leuchtfeldes um eine Stelle zu bewirken.

Beim mittlerweile ausgebildetem Informatiker schellt hier heute natürlich das Pawlow'sche Glöckchen »Codierungstheorie«, und man läuft im Geiste die Kanten des durch den Hamming-Abstand 1 gebildeten Graphen dreistelliger Binärcodes ab. Eine Erweiterung des Leuchtband-Experiments - »Ein Leuchtband für Marsmännchen« (mit drei Armen) wäre vielleicht ein guter Kandidat für einen dritten Band, (»Logikus Revisited«), besonders in Verbindung mit einer Diskussion der »Universalschaltung« für dreistellige Binärkombinationen, Nr. 5. Bei dieser Schaltung gab's nämlich einen verwandten AHA-Effekt: nicht jedes gewünschte Ausgabe-Ergebnis ist von einer vorgegebenen Schalterkombination aus durch Ändern einer einzigen Schalterstellung erreichbar. Auch muß keineswegs jede sinnvolle Eingabekombination auch einem Ergebnis zugeordnet sein: wie Schaltung 13 zeigt, bleibt die Wetterprognose bisweilen unbestimmt.

Da ich mich mit dem LOGIKUS immer alleine beschäftigt habe, überschlug ich die Spiele zu zweit (Fußball, Katz und Maus). Interessant war dagegen auf den ersten Blick das Bauer-Kohlkopf-Ziege-Wolf Problem. Allerdings lief es letzlich eher auf die Konditionierung des Benutzers hinaus, der lernte, Warnanzeigen zu interpretieren und nach einer Phase von Versuch und Irrtum die Schaltschieber in der richtigen Reihenfolge zu bewegen. Je nach Perspektive eine Lernmaschine oder eine Art erweiterte Leuchtband-Steuerung.

»Bedaure, Sie haben verloren« war verblüffend genug, um die Maschine in der Schule gegen einige Kameraden antreten zu lassen. Diese einfache Version des NIM-Spiels war leider vergleichsweise einfach zu durchschauen: Zwo gewinnt.

Was mich hätte interessieren sollen, sind die Schaltungen zur Binärarithmetik gegen Ende des ersten Bandes. Doch der Umstand, daß die Verdrahtung der Mammutschaltung aus Gründen der Übersicht auf drei verschiedene Diagramme verteilt werden mußte, schreckte mich ab, so daß ich auf den Nachbau verzichtete. Ein Fehler, wie ich heute zugeben würde. Der Halbaddierer ist eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Erfindung.

Erinnerungswürdig aus dem 2. Teil des Handbuchs ist für mich die Ampelschaltung - eine beliebte Erstsemesteraufgabe in Programmierpraktika und gute Einführung in Zustandsmaschinen. Bemerkenswert auch die »kybernetische Maus« als Beispiel eines nicht-offensichtlichen Algorithmus im LOGIKUS. Letzteres galt natürlich nur, wenn man den Lösungsansatz noch nicht kannte. Man findet aus jedem zweidimensionalen Labyrinth heraus, indem man eine Hand an der Wand entlangstreifen läßt (funktioniert für Rechts-und Linkshänder). Im schlechtesten Fall wird der Irrgarten vollständig durchlaufen und dabei dessen gesamte Innenlinie abgetastet, doch hinaus kommt man immer.

Beispielhaft bis heute die Einführung in die Mengenlehre/-algebra und ihre Übertragung auf Schaltalgebra im zweiten LOGIKUS-Buch. Ganz traditionell mit Grundrechenarten und Einmaleins an die Mathematik herangeführt, hatte ich von Mengenlehre nicht den Hauch einer Ahnung. Die graphische Darstellungform im LOGIKUS-Handbuch war so gut, daß ich das meiste im Kopf nachvollziehen und auf den praktischen Aufbau verzichten konnte. Jahre später zahlte sich dies aus: für ein paar Wochen schaltete ich im Matheunterricht ab, denn Boole'sche Algebra war mir dank LOGIKUS geläufig.

Beeindruckend waren schließlich, schon aus ästhetischen Gründen, die im 2. Band optimierten Logikschaltunge (Bauer bzw. Müller/Meier/Schulze). Die Ausdrücke »Spaghetticode« und »zusammengehackt« haben für mich gewissermaßen greifbare Qualität, lassen sie doch die Verdrahtungsunterschiede in Buch 1 und 2 vor meinem geistigen Auge erstehen.

Problematisch war aus meiner Sich allein die gegen Ende des zweiten Bands zunehmend formalere Notationsweise. Das »Überladen« des Additions- und Multiplikationszeichens mit boole'scher Semantik war schwer verdauliche Kost. Mich hat dies eher irritiert, statt mir zu einer abstrakteren Sicht zu verhelfen. Möglicherweise hängt man im jugendlichen Alter mehr an der Vorstellung einer 1:1 Entsprechung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Ich jedenfalls habe mir damals spezielle Symbole '(+)' bzw '(x)' für Konjunktion und Disjunktion definiert.

[1] http://www.computercollector.com/archive/geniac/

zurück



Home